Wasserstoff mit Verstand einsetzen

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Jörg Hofstetter

Jörg Hofstetter aus Luzern, ist ein pensionierter Informatik-Dozent mit Interessen in Datenanalysen, Energiewende und Klimawandel. Er veröffentlicht Analysen und Forschungen zu diesen Themen auf seinem Blog co2nettonull.com und als Gastautor auf Climartis.ch

Grüner Wasserstoff, fossilfrei hergestellt, wird uns durch die EU, diverse Think-Tanks und Lobby-Gruppen, ja selbst den Weltklimarat IPCC [1], als universeller Hoffnungsträger zur Überwindung der Klimakriese angepriesen. Entsprechend wird am Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur geplant und investiert.

Um aber fatale Fehlinvestitionen zu vermeiden, müssen wir neben den interessanten Eigenschaften von grünem Wasserstoff auch dessen Nachteile kennen:

  • Energieverschwendung: Die Produktion von Wasserstoff ist energieintensiv. So braucht z.B. Ein Wasserstoffauto mit Brennstoffzellen 2-3x soviel Strom wie ein Elektroauto.
  • Klimaerwärmung: Wasserstoff ist formell kein Klima-Gas, gelangt es aber durch Leckagen in die Atmosphäre, ist es indirekt klimaaktiver als CO2.
  • Die Speicherung von Wasserstoff braucht grosse Volumina, daher muss er unter hohem Druck gespeichert werden (Energie und Kosten).
  • Aus Wasserstoff gewonnene Produkte, zusammengefasst unter Power2X, beheben teilweise Transport- und Speicherprobleme, sind aber noch ineffizienter und haben zusätzliche Probleme.

Aus diesen Gründen sollten wir Wasserstoff gezielt dort einsetzen, wo es keine bessere Alternative gibt, wie z.B. der chemischen Industrie, in der Stahlproduktion und beim Fliegen.

Was fasziniert so an Wasserstoff?

Jules Verne formulierte es 1870 in seinem Werk „die geheimnisvolle Insel“ [7]:

„Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern“.

Diese Vision ist heute wahr geworden. In einer Brennstoffzelle kann aus Wasserstoff und Sauerstoff CO2-frei Energie erzeugt werden. Neben freigesetzter Energie wird dabei Wasser als Abfall produziert. Chemische Formel: 2 H2 + O2 -> 2 H2O + Energie (Neben der Brennstoffzelle gibt es auch Wasserstoff-Verbrennungsmotoren. Hier seht es bezüglich Abfallprodukten schlechter aus, insb. werden auch Stickstoffoxide erzeugt).

Das tönt doch recht verheissungsvoll! Mit der entstehenden Energie könnte man Autos, Schiffe und Flugzeuge ohne fossile Treibstoffe antreiben oder Wärme erzeugen.

Fossile Rohstoffe dienen aber nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Rohstoffquelle für Kohlenstoff, einer zentralen Bausubstanz für chemische Produkte wie Methanol und Ammoniak oder Endprodukte wie Kunststoffe und Dünger [2]. Grüner Wasserstoff kann damit alternativ zu fossilen Rohstoffen als Ausgansmaterial für viele Chemische Prozesse eingesetzt werden. Neben forciertem Recycling gibt es dabei kaum Alternativen zum Einsatz von grünem Wasserstoff.

Wasserstoff-Produktion ist energieintensiv

Für das Ziel „CO2 Netto-Null“ kommt nur sog. „grüner“ Wasserstoff in Frage, der z.B. durch die Aufspaltung von Wasser mittels Solar-Strom gewonnen wird. Dabei zeigt sich einer der Hauptnachteile der Wasserstoffproduktion: die schlechte Energie-Effizienz (Wirkungsgrad). Um z.B. eine bestimmte Menge Wasserstoff-Energie für den Auto-Antrieb zu produzieren, muss etwa 2-3x soviel Energie aufgewendet werden, als wenn der Strom via Batterien einem Elektromotor zugeführt würde (siehe Abbildung 1). Diese gewaltige Energieverschwendung würde den Stromverbrauch massiv erhöhen, in letzter Konsequenz wohl zu neuen Kernkraftwerken führen. Die Idee, zukünftigen Photovoltaik-Überschüsse im Sommer für die Wasserstoffproduktion zu verwenden, würde ebenfalls den Preis in die Höhe treiben, da die Produktionsstätten nur im Sommer ausgelastet wären. Es gibt noch weitere Hürden für den ungezügelten Wasserstoffeinsatz.

Wasserstoff indirekt klimaaktiver als CO2

Wasserstoff gehört formal nicht zu den klimaaktiven Gasen, wie etwa CO2 oder Methan. Aber neuer Studien zeigen, dass es indirekt klimaaktiver als CO2 ist [3] [4].
Wasserstoff in der Atmosphäre führt zu mehreren chemischen Reaktionen. Primär wird der Methanabbau in der Atmosphäre verzögert. Da Methan sehr stark klimaaktiv ist, hat dies gravierende Auswirkungen auf unser Klima. Schon heute gelangt übrigens Wasserstoff in die Atmosphäre, nicht zuletzt auch durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe.

Im Detail betrachtet gibt es mehrere Effekte von Wasserstoff in der Atmosphäre:
– H2 + OH -> H2O + H: Wasserstoff reagiert mit OH-Radikalen. Diese erfüllen aber eine wichtige Aufgabe, sie bauen Methan ab, reduzieren daher die Treibhauswirkung.
– Die produzierten H-Atome reagieren mit Sauerstoff und Stickstoff was zu bodennahem Ozon führt.
– Mehr Wasserstoff führt zu mehr Wasserdampf (H2O) in der Stratosphäre, welche damit abkühlt. Zudem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit stratosphärischer Wolkenbildung, was die Bildung des Ozonlochs begünstigen kann.
Erst neuere Studien aus dem Jahre 2022 berücksichtigen in ihren Modellen alle bekannten Effekte. Aktuell rechnet man mit einem Treibhausgaspotential (wie viel eine bestimmte Masse Wasserstoff im Vergleich zur gleichen Masse CO2 zur Erwärmung beiträgt) von 6-16 über 100 Jahre. Die Unsicherheiten sind aber noch relativ gross, siehe dazu den Übersichtsbericht [4].

Solange Wasserstoff nicht in die Atmosphäre gelangt, passiert nichts. Leider ist Wasserstoff aber ein sehr flüchtiger Stoff, der Bau von dichten Leitungen und Ventilen ist sehr aufwendig. Auch muss der Austritt von Wasserstoff bei notwendigen Unterhalts Arbeiten konsequent verhindert werden. Man rechnet gesamthaft mit Leckagen von 1-10% [4], die Unsicherheiten sind also relativ gross.
Wegen möglichen Klimaauswirkungen, insbesondere aber auch wegen Kosten und Energieverschwendung, müssen wir den Einsatz von Wasserstoff auf diejenigen Bereiche fokussieren, bei denen es keine Alternativen zu Wasserstoff gibt.

Wasserstoff weiter verarbeitet – Power-to-X

Einige Nachteile von Wasserstoff, wie das grosse Speichervolumen und die schlechte Transportierbarkeit, können durch eine Weiterverarbeitung verbessert werden. Der Sammelbegriff Power-to-X umfasst mehrere Verfahren in denen aus dem Grundstoff Wasserstoff e-Treibstoffe (e-Fuels), e-Methanol, e-Ammoniak etc. hergestellt wird. Im Gegensatz zu einer Brennstoffzelle entsteht bei Verwendung von e-Treibstoffen am Ort der Verbrennung CO2. Da aber bei der Produktion dieses Treibstoffes die gleiche Menge CO2 benötigt/konsumiert wird, kann man den gesamten Kreislauf als CO2 neutral bezeichnen. Allerdings braucht dieser Prozess nochmals mehr Energie, wie Abbildung 1 zeigt.

Abbildung 1: Effizient von Wasserstoff und E-Fuels, [5]

Wozu soll Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden?

Abbildung 2 zeigt mögliche Einsatzbereiche für Wasserstoff und ihre Nützlichkeit auf (von A = Alternativlos bis G = unwirtschaftlich). Für die Produktion von Düngemittel, die Schifffahrt und Langstreckenflüge wird Wasserstoff wohl unverzichtbar sein (bei den letzteren in Form von e-Fuels). Im Auto oder zum Heizen dürfte Wasserstoff zu teuer, zu energieintensiv und zu klimaschädlich (dezentrale Verteilung) sein, insbesondere da bessere Alternativen zur Verfügung stehen.

Abbildung 2: Einsatzbereiche von Wasserstoff [6]

Eine interessante Frage dürfte sein, ob Wasserstoff als Langfrist-Stromspeicher, in der obigen Grafik immerhin auf Stufe B, tatsächlich zum Einsatz kommen wird. In der Schweiz werden wir ab ca. 2040 vermehrt solche Langfristspeicher brauchen [8]. Allerdings gibt es auch potentielle Alternativen, wie z.B. Druckluftspeicher oder verbesserte Batterien. Auch Wärmespeicher können den Strombedarf im Winter reduzieren, ein Thema das aktuell noch unterschätzt wird.
Nun, wir haben noch etwas Zeit bis 2040, nutzen wir diese für entsprechende Forschungen und Versuchsanlagen, anstatt heute kopflos fragwürdige Wasserstoff-Infrastrukturen aufzubauen. Konzentrieren wir uns heute auf das was klar ist: Photovoltaik, Windkraft und Speicherseen, unter der Berücksichtigung des Themas Winterstrom, zügig auszubauen.

Originalartikel: https://co2nettonull.com/2023/12/27/wasserstoff-mit-verstand-einsetzen/

[1] IPCC Sixth Assessment Report, 2022, https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/downloads/report/IPCC_AR6_WGIII_FullReport.pdf, Kapitel 1.4.3

[2] Der Umbau der Chemieindustrie Spektrum der Wissenschaft, 9/2023

[3] Maria Sand, A multi-model assessment of the Global Warming Potential of hydrogen, 2023, https://www.nature.com/articles/s43247-023-00857-8

[4] Umweltbundesamt, Ist Wasserstoff treibhausgasneutral? – Stand des Wissens in Bezug auf diffuse Wasserstoffemissionen und ihre Treibhauswirkung, 2023, https://www.umweltbundesamt.de/dokument/ist-wasserstoff-treibhausgasneutral-stand-des

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Power-to-X
Bildquelle: vde autoantriebeimvergleich cc-by-sa heinricht-boell-stiftung2 0.jpg

[6] Gregor Hagedorn, Wolf-Peter Schill & Martin Kittel, based on Michael Liebreich/Liebreich Associates, Clean Hydrogen Ladder, Version 4.1, 2021. Concept credit: Adrian Hiel, Energy Cities – https://mobile.twitter.com/wozukunft/status/1436681783920242696,
siehe auch Wikipedia.

[7] Jules Verne, 1870, https://www.zitate-online.de/sprueche/kuenstler-literaten/19241/das-wasser-ist-die-kohle-der-zukunft-die.html

[8] Nordmann und Hofstetter, Stresstest Energiewende, 2023,
https://co2nettonull.com/dreamteam-wasserkraft-und-solarstrom-fuer-die-zukuenftige-energiewende/

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