Diversität verhindert Stromlücke
Die Photovoltaik (PV) wird zusammen mit der Wasserkraft die Zukunft der Schweizer Stromproduktion prägen. Der Ausbau der PV schreitet inzwischen zügig voran. Mit zunehmendem PV-Anteil müssen wir uns vermehrt mit den naturgegebenen Schwankungen der PV-Produktion auseinandersetzen, insbesondere müssen wir überlegen wie wir im Winter bei einer Solarflaute die Versorgungssicherheit gewährleisten.
In Zusammenarbeit mit Thomas Nordmann habe ich in einer Simulation die Situation der Schweiz in ca. 15 Jahren, d.h. kurz vor dem Abschalten der letzten beiden AKWs, untersucht. Unsere Fragen waren:
Kann die PV zusammen mit unseren Speicherkraftwerken eine grössere Solarflaute im Winter überstehen? Welche Rolle spielen dabei die umstrittene Alpine-PV und die Windkraft? Können wir es uns leisten auf diese zu verzichten?
Resultat der Simulation im Jahr 2039
Vergleich Ausbau unterschiedlicher Produktions-Mixe für gleiche Versorgungssicherheit bei Solarflaute
Die obige Grafik fasst das Resultat dieser Simulationen im Jahr 2039 zusammen:
Wir haben untersucht, welche Auswirkungen eine grosse Solarflaute (siehe unten) auf die Versorgungssicherheit hat. Zuerst haben wir dies für folgende diverse Stromversorgung getan:
30 GW Mittelland-PV, 1.4 GW, Alpine-PV, 0.7 GW Wind
Danach haben wir untersucht, um wieviel wir die Mittelland-PV ausbauen müssten, um die gleiche Versorgungssicherheit bei Verzicht auf Wind und Alpine-PV zu erreichen. Das Resultat ist erstaunlich: 41 GW, d.h. ein Ausbau der Mittelland-PV um 36%!
Damit wird erkennbar, dass die koordinierte Kombination von Wind, Alpine-PV, Mittelland-PV und Speicherkraft zu einem «Diversitätsgewinn» führen. Das Ganze also mehr ist als die Summe seiner Einzelteile!
Damit wird aber auch klar, dass die oft gehörte Strategie «PV massiv auf die Dächer statt in die Alpen» realitätsfremd ist (Details dazu in DreamteamWasserkraftSolartsrom II).
Wie sind wir zu diesem Resultat gekommen?
Als Basis unserer Simulation haben wir ein Energieszenario von Nationalrat Grossen auf der AXPO Power Switcher Plattform [1] verwendet und konkret das Jahr 2039 untersucht. Dabei haben wir die dortigen Stromimporte und die Produktion der Speicherseen entfernt. Die so entstandene Lücke haben wir mittels Simulation versucht mittels der bestehenden Speicherseen zu überbrücken. Entgegen der heutigen Speichersee-Strategie, haben wir die Speicherseen primär für diesen Zweck eingesetzt.
In der Simulation haben wir die Füllpegel der Speicherseen übers Jahr berechnet und grafisch dargestellt, Details dazu siehe im Bericht DreamteamWasserkraftSolartsrom II.
Die grüne Kurve zeigt einen typischen Jahresverlauf des Füllstandes (in TWh) aller Speicherseen in der Schweiz im Jahr 2039 mit folgendem Energie-Mix:
30 GW PV im Mittelland, 1.4 GW Alpine PV, 0.7 GW Wind. [2]
Aus der Grafik wird ersichtlich, dass damit Ende April genügend Reserve-Wasser in den Speicherseen zurückbleibt, d.h. die Produktionsminderungen der PV im Winter können tatsächlich durch die Speicherseen ausgeglichen werden.
Die blaue Kurve zeigt nun die Auswirkung einer angenommenen Solarflaute bei gleichem Strommix. Dabei wird angenommen, dass den ganzen Februar im Mittelland ausserordentlich viel (Hoch-)Nebel herrscht, so dass die PV im Mittelland nur 20% der durchschnittlichen zu erwartenden PV-Produktion im Mitteland liefert. Dies entspricht z.B. einer totalen Solarflaute im Mittelland von über 3 Wochen. Die Pegel der Speicherseen sinken dabei zwar stark ab, dank der Reservehaltung in den Speicherseen «trocknen» diese aber nicht aus.
Die nächste wichtige Fragestellung war: Was passiert bei einer Solarflaute, wenn uns keine Alpine-PV und Windenergie, die wegen ihrem Standort von der Flaute nicht betroffen sind, zur Verfügung stehen. Als Kompensation der wegfallenden Alpinen-PV (1.4 GW) und der Windkraft (0.7 GW), wurde 32.8 GW Mittelland-PV statt deren 30 GW angenommen [3].
Zum Vergleich in Blau nochmals die Entwicklung der Speicherseen aus obiger Grafik, bei Solarflaute im Mittelland mit einem diversen Produktionsmix.
Die rote Kurve zeigt neu die Entwicklung der Speicherseen bei der gleichen Solarflaute aber ohne Alpine-PV und Windkraft, aber mit Kompensation von Mittelland-PV. Trotz dieser «Kompensation» sinken die Füllstände der Speicherseen bedeutend weiter ab. Im konkreten Beispiel trocknen die Speicherseen sogar aus, es entsteht eine Stromlücke!
Die richtige Kombination mehrerer Energieformen scheint also einen positive Effekt zu haben. Um diesen Effekt quantifizieren zu können, haben wir in der Simulation im roten Szenario (Flaute, nur PV im Mittelland) die installierte PV im Mittelland schrittweise so lange erhöht, bis sich die rote Kurve optisch mit der blauen Kurve deckte (insbesondere im tiefsten Punkt). Dies bedeutet, beide Szenarien belasten die Speicherseen gleich stark (gleiche Füllstands-Absenkung) und haben damit eine vergleichbare Zuverlässigkeit bezüglich Reserven/Versorgungssicherheit.
Dies führte zum eingangs präsentierten, doch erstaunlichen Resultat.
Wie geht es nach 2039 weiter? Mehrere Energieszenarien zeigen, dass es spätestens ab 2040 einen Ausbau der Langzeitspeicherung (überschüssigen Strom aus dem Sommer für den Winter speichern) oder einen starken Europäischen Verbund (Wind aus dem Norden, Solarstrom aus Afrika) braucht. Dazu mehr in einem späteren Blogbeitrag.
[1] Szenario Grossen auf Axpo Power Switcher Plattform:
https://powerswitcher.axpo.com/,
Zugriff: 7.5.2024,
dort in der obersten Zeile das Szenario Grossen auswählen.
[2] Leistung und Energie
GW =Gigawatt, Einheit für die installierte Leistung (Peak Leistung), d.h. bei PV die Menge der Panele.
GWh = Gigawatt Stunden, Einheit für die produzierte Energie. Bei PV hängt diese von der installierten Leistung, der Betriebsstunden und der Sonnintensität ab.
1 TW = 1 Terrawatt = 1000 GW
[3] da 1 GW Wind ca. 2 mal soviel Energie liefert wie 1 GW PV: 30 + 1.4 + 2 x 0.7